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25. Juni 2014: Teilzeit für alle? - Debattenbeitrag Zeitpolitik

Souveränität im Umgang mit der eigenen Zeit ist ein wesentlicher Aspekt von Freiheit, aber auch von ganzheitlichen Konzepten für ein gutes Leben. Es geht um Nachhaltigkeit, Engagement und einen neuen Begriff von Wachstum und Wohlstand. Was grüne Zeitpolitik in den Blick nehmen muss und wie sie mit den großen Programmdebatten der Partei zusammenhängt, skizziert Bettina Jarasch im grünen Debattenblog.

Grüne Zeitpolitik für eine neue Arbeitswelt

Wenn man heutzutage Menschen im Beruf fragt, was ihnen fehlt, ist die Antwort häufig: Es fehlt Zeit. Zeit für die Familie, Zeit für Engagement, Zeit für sich. In der modernen Arbeitswelt ist Stress allgegenwärtig, Burn-Out eine Volkskrankheit und Zeit eine Mangelware. Wie können wir mit grüner Zeitpolitik Freiräume schaffen, damit Menschen ihr Leben mit möglichst großer Zeitsouveränität gestalten können?

Das derzeitige Vollzeitmodell mit 40 Stunden plus X zwängt Menschen häufig in ein starres Zeitkorsett. Verschiedene Lebensphasen werden in diesem klassischen Modell nicht abgebildet: Insbesondere die sogenannte Rush-Hour des Lebens, in der die Berufstätigkeit mit der Fürsorge für Kinder oder der Pflege von Angehörigen verbunden werden muss, braucht neue Ideen in der Zeitpolitik. Warum soll es in der modernen Arbeitswelt – in der wir alle länger arbeiten werden – nicht möglich sein, in manchen Lebensphasen mehr und in anderen weniger zu arbeiten? Dabei geht es bei der Zeitpolitik nicht nur darum, wieviel wir arbeiten, sondern auch, wo und wann am Tag wir unsere Arbeit erledigen.

Viele Menschen, so ergab beispielsweise eine Beschäftigtenbefragung der IG Metall, möchten nicht pauschal weniger arbeiten, wünschen sich jedoch mehr Souveränität im Umgang mit ihrer Arbeitszeit. Vor allem Familien stecken in einem Dilemma, das offenbaren Studien und Umfragen in schöner Regelmäßigkeit, zuletzt etwa die Befragung „Väter 2014“ der Zeitschrift „Eltern“. Zwar wollen die meisten Männer und Frauen offensichtlich die Arbeit in der Familie partnerschaftlich teilen und beiden berufliches Fortkommen ermöglichen, doch scheitert der Großteil von ihnen in der Realität: So wünschten sich zwar 43 Prozent der berufstätigen Väter in der Umfrage mehr Zeit mit den Kindern. Doch gaben knapp 90 Prozent der Männer an, Vollzeit zu arbeiten, im Gegensatz zu nur 4 Prozent, die Teilzeit beschäftigt waren.

Souveränität im Umgang mit der eigenen Zeit ist ein wesentlicher Aspekt von Freiheit, aber auch von ganzheitlichen Konzepten für ein gutes Leben. Dabei ist das Thema Zeitpolitik ein altes grünes Thema: Es geht um Nachhaltigkeit, Engagement und einen neuen Begriff von Wachstum und Wohlstand. Wir wissen schon lange, dass Wirtschaftswachstum und das BIP nicht der alleinige Maßstab für gesellschaftlichen Wohlstand sind. In diese Diskussion gehört auch das Thema Zeitpolitik. Ein lebenswertes Gemeinwesen und gesellschaftlicher Zusammenhalt sind auf Menschen angewiesen, die Zeit und Energie zum Gestalten von Gesellschaft haben. Die vier Säulen des grünen Programmprozesses sind also miteinander verbunden und verweisen aufeinander.

Zugleich nimmt Zeitpolitik zentrale gesellschaftliche Herausforderungen in den Blick: Der Fachkräftemangel macht sich immer stärker bemerkbar; der demographische Wandel schreitet voran. Zeitpolitik kann hier Antworten liefern und grüne Politik anschlussfähig machen: Wir wollen Ansprechpartnerin sein für innovative Unternehmen, die qualifizierte MitarbeiterInnen mit attraktiven Arbeitsbedingungen gewinnen und an sich binden wollen. Wir wollen zusammenarbeiten mit den Gewerkschaften, die sich in auch den nächsten Jahren mit den Themen gute Arbeit und Humanisierung der Arbeitswelt beschäftigen werden. Und nicht zuletzt wollen wir anschlussfähig sein an die Bedürfnisse von Familien mit Kindern und Jugendlichen, an die Bedürfnisse älterer ArbeitnehmerInnen, die mit fortschreitendem Alter und nach jahrzehntelangem Leistungsdruck physisch und psychisch belastet sind, während sie sich gleichzeitig um ihre pflegebedürftigen Eltern kümmern, und schließlich an diejenigen, die sich aus den verschiedensten Gründen vor allem eins wünschen: Mehr Zeit und weniger Druck und Stress.

Die richtigen Instrumente dafür wollen wir gemeinsam entwickeln. Dazu gehören auch Finanzierungs- und Verteilungsinstrumente – denn eins ist klar: Souveränität über seine oder ihre Arbeitszeit einfordern kann nur, wer nicht in unsicheren Verhältnissen lebt. Deshalb ist grüne Zeitpolitik nur überzeugend, wenn sie zugleich niedrige Einkommen stärkt, Übergänge sichert und eigenständige Existenzsicherung im Blick behält.

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