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21. Februar 2018: Predigt zum ökumenischen Weltgebetstag in der Nikolaikirche (Spandau)

Am 18. Februar habe ich in der Nikolaikirche in Spandau anlässlich des ökumenisch ausgerichteten Weltgebetstags eine Predigt zur Verantwortung des Menschen für Gottes Schöpfung gehalten: „Ökologisches Denken ist ganzheitlich, es löst den Menschen nicht aus dem Gesamtzusammenhang, ohne den er nicht leben kann. (…) Wer den Auftrag annimmt, Gottes Schöpfung zu bewahren, der kann dabei nicht an seinem Gartenzaun halt machen, und ebenso wenig an nationalen oder ethnischen Grenzen. – Er kann auch nicht Tiere oder die heimatliche Landschaft schützen, aber gleichzeitig Menschen anderer Herkunft verachten.“

Liebe Gemeinde,

liebe Schwestern und Brüder –

als ich mich auf den heutigen Tag vorbereitet habe, ist mir ein Buch über den Thüringer Kanzelstreit in die Hände gefallen.[1] Auslöser dieser heftigen Debatte Ende der 90er in der ostdeutschen evangelischen Kirche war eine Einladung an verschiedene Personen des öffentlichen Lebens, an 52 Sonntagen in verschiedenen Gemeinden Predigten zu halten. – Die Kontroverse, die daraufhin entbrannte, drehte sich vor allem um die Frage, was eine Predigt eigentlich zur Predigt macht: muss ein Prediger nicht ordentlich ausgebildet sein? Oder kann Gottes Wort auch durch einen nicht berufenen Mund wirken? Auslöser der damaligen Kontroverse war eine Einladung an Gregor Gysi, einen bekennenden Atheisten. – Nun bin ich zwar Christin, aber zum Predigen weder ausgebildet noch berufen. Umso mehr fühle ich mich geehrt, heute hier Gottes Wort auslegen zu dürfen. Entscheidend ist für mich dabei die Haltung, die Gottes Wort uns nahelegt: zu uns selbst, zur Welt um uns herum und zu unseren Mitmenschen.

„Und Gott sah, dass es gut war“: Die Schöpfungsgeschichte, die wir als Lesung gehört haben, beschreibt die Entstehung des Lebens auf der Erde als etwas durch und durch Sinnhaftes, aufeinander Bezogenes. Gott ist voll und ganz einverstanden mit seiner Schöpfung, er will sie so wie sie ist – genau wie er die Menschen will, so wie er sie erschaffen hat. – Wir wissen, der Sündenfall steht noch bevor, genau wie die Vertreibung aus dem Paradies. Wir wissen, dass Gott uns die Welt anvertraut hat – und was wir aus dieser Welt mittlerweile gemacht haben. Dass Klimawandel, Artensterben, die Übersäuerung der Böden und die Vermüllung der Meere menschengemacht sind, leugnet außer ein paar Demagogen kaum noch jemand. Wieso treibt uns das nicht mehr um? Wieso halten die meisten von uns Ökologie und Umweltschutz zwar für sehr wichtige Themen, machen ihre täglichen Entscheidungen aber so selten davon abhängig?

Die Texte, Psalmen und Lieder des heutigen Gottesdienstes preisen Gottes Schöpfung – so, als befände sie sich noch in jenem paradiesischen Urzustand, den das erste Buch Mose beschreibt: „Gott, zweimal am Tag malst Du den Himmel voller Schönheit. (…) Solche Herrlichkeit kann keine Künstlerin malen, solche Pracht kann kein Mensch erschaffen.“ Dieses Gebet stammt aus Papua Neuguinea. Das hat mich sehr berührt. Denn Papua Neuguinea gehört zu der Weltregion, in der den Menschen durch den Klimawandel und den Anstieg des Meeresspiegels in den nächsten Jahren buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Tuvalu, Teile der Fidschi-Inseln, aber auch die Malediven, die Marshall-Islands und Kiribati in der Nähe von Hawai sind akut vom Verschwinden bedroht. – 100 Millionen Menschen drohen in den nächsten Jahren zu Klimaflüchtlingen zu werden.

Professor Schellnhuber, der Chef des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, hat vorgeschlagen, dass sie alle einen Klimapass erhalten sollen, nach dem Vorbild des Nansen-Passes, den staatenlose Emigranten nach dem 1. Weltkrieg bekamen. Menschen, die durch den von ihnen selbst nicht verschuldeten Klimawandel heimatlos geworden sind, bekämen damit Zutritt und Bleiberechte in den Ländern, die für den Klimawandel verantwortlich sind.

Nein, ich wünsche mir nicht, dass es so kommt. Aber dieser Vorschlag macht zweierlei sehr klar: Die Bewahrung der Schöpfung ist auch eine Frage der Gerechtigkeit. Und die Erde ist durch die Globalisierung so nah zusammen gerückt, dass wir uns unserer Verantwortung nicht entziehen können. Unabhängig davon ob wir daran glauben, dass sie uns von Gott gegeben ist oder nicht.

An diese Zusammenhänge wollen uns wohl auch die Frauen aus Surinam erinnern, die diesem Gottesdienst und dem Weltgebetstag das Motto gegeben haben: „Gottes Schöpfung ist sehr gut!“

Surinam ist ein kleines südamerikanisches Land, das noch zum Großteil mit Regenwald bedeckt ist. Aber in Surinam wie überall in Südamerika werden Regenwälder zerstört und Kleinbauern vertrieben. Für den großflächigen Gensojaanbau, der das Futter für Schweine-, Hühner- und Rinder-Mastbetriebe liefert. Die Agroindustrie mit ihren Monokulturen ist eine der Hauptursachen für das weltweite Artensterben. Dieses Artensterben hat ein bedrohliches Tempo aufgenommen: Mittlerweile ist das Verhältnis von Aussterben zu Neuentstehen von Arten 1:100. Wenn also eine Art neu entsteht, sterben zeitgleich 100 Arten aus. Sogar so zähe und überlebenstüchtige Tiere wie der Spatz sind in manchen Regionen mittlerweile vom Aussterben bedroht.

Auch das ist nichts, was uns kaltlassen könnte. Denn das Artensterben gefährdet unser Ökosystem und damit unsere Lebensgrundlagen. Das Ökosystem ist ein sinnvoller, aufeinander bezogener Gesamtzusammenhang, so wie die Genesis Gottes Schöpfungswerk beschreibt. Es funktioniert wie ein Netz und jede Art ist ein Knoten in diesem Netz. Wenn sich also ein Knoten nach dem anderen auflöst, kann das Netz uns irgendwann nicht mehr tragen.

Das Netz ist ein Bild für die Zusammengehörigkeit und auch für die wechselseitige Abhängigkeit alles Geschaffenen. Wie ist demgegenüber Gottes Auftrag an die Menschen im ersten Buch Mose zu verstehen? „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt Euch und füllt die Erde und macht sie Euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“

Wir sollen uns die Erde untertan machen. – Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen als ein Herrschaftsanspruch des Menschen über die Natur, die damit zum Objekt des Menschen wird? Diese Deutung hat eine lange und fatale Wirkungsgeschichte. Aber die Menschen bleiben in der Schöpfungsgeschichte immer Teil der geschaffenen Natur. Ein Jenseits dieses Zusammenhangs erscheint gar nicht denkbar – und ist es in Wahrheit auch heute nicht. Im 1.Buch Mose 2. Kapitel wird dieses Verhältnis deutlich, wenn es heißt: „Und allerlei Bäume auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und allerlei Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen, denn Gott der Herr hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und es war kein Mensch, der das Land baute. (…) Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn ihn den Garten Eden, dass er ihn baute und bewahrte.“

Menschen, Tiere und Pflanzen im Garten Eden sind wechselseitig voneinander abhängig. Die Verantwortung des Menschen für Gottes Schöpfung macht diese Schöpfung, macht die Natur nicht zum Verfügungsobjekt des Menschen. Seine Verantwortung erwächst vielmehr aus dem Wissen um diese wechselseitige Abhängigkeit. Der Mensch ist eingebettet in die Schöpfung, für die er gleichwohl Verantwortung trägt.

Das ist etwas, was moderne Menschen sich erst wieder aneignen müssen: Wir haben uns aus dem Ausgeliefertsein an Naturgewalten gelöst – allerdings um den Preis, dass wir in der Lage sind, unser Ökosystem und damit unseren eigenen Lebensraum zu zerstören. Vielleicht müssen wir neu verstehen lernen, dass wechselseitige Abhängigkeit keine Schwäche ist. – In unserem grünen Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2002 heißt es: „Als Vernunftwesen ist der Mensch in der Lage zu einem verantwortlichen Leben in Selbstbestimmung. Als Teil der Natur kann der Mensch nur leben, wenn er die natürlichen Lebensgrundlagen bewahrt und sich selbst demgemäß Grenzen setzt.“

Diese Spannung zwischen Selbstbestimmung und Eingebundensein in ein größeres Ganzes gilt es auszuhalten. Hier zeigt sich: Ökologisches Denken ist ganzheitlich, es löst den Menschen nicht aus dem Gesamtzusammenhang, ohne den er nicht leben kann. Der Mensch soll über die Schöpfung herrschen und ist doch zugleich Teil von ihr. Damit ist er genauso um seiner selbst willen gewollt wie alle anderen Geschöpfe auf der Erde auch.

Wer den Auftrag annimmt, Gottes Schöpfung zu bewahren, der kann dabei nicht an seinem Gartenzaun halt machen, und ebenso wenig an nationalen oder ethnischen Grenzen. – Er kann auch nicht Tiere oder die heimatliche Landschaft schützen, aber gleichzeitig Menschen anderer Herkunft verachten.

Die Verantwortung für die Schöpfung verlangt ein universalistisches Denken. Das ist heute wichtiger denn je: Die Globalisierung erscheint vielen Menschen als eine bedrohliche Übermacht und Urgewalt, so wie es in den Urzeiten des Menschen die Natur war. Und zu viele Menschen überfordert die Aufgabe, diese globale Welt zu gestalten. Sie ziehen sich lieber zurück in ihren nationalen Vorgarten und wollen die Verantwortung loswerden. Eine entscheidende Frage für unsere Gesellschaft wird sein, ob universalistisches oder partikularistisches Denken sich durchsetzt.

In der Umweltbewegung gibt es einen alten Leitspruch: „think globally, act locally“. (Denke global, handle konkret vor Ort). Das entspricht dem Gärtner-Auftrag, den Gott im Garten Eden den Menschen gegeben hat: das Land zu bebauen, den Garten zu pflegen und zu bewahren. – Unser Auftrag ist nicht, ganz allein die Welt zu retten. Wer seinen Garten hegt und pflegt, hat dabei auch etwas fürs Ganze getan. Wenn er dabei die Welt im Blick hat. Denn die Liebe zur Schöpfung überschreitet Grenzen.

Das ist eine Haltung, die aus dem Glauben erwachsen kann. Ich kenne aber viele Menschen, die auch ohne den Glauben an einen Schöpfer eine solche Haltung haben. Der Gärtner-Auftrag ist an alle Menschen gegangen.

Wenn die Natur das Buch Gottes ist, dann kann man in diesem Buch auch lesen und seine Botschaft verstehen, ohne den Autor zu kennen. Wir sollten nicht nur in der heiligen Schrift selbst, sondern auch wieder in der Natur lesen lernen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen viel Freude heute nachmittag – vielleicht nicht nur bei einem Zusammensein mit Ihren Lieben, sondern auch bei einem Spaziergang in der noch recht winterlichen Natur.

Amen

[1] An dieser Stelle vielen Dank an Volker Beck